Bemerkungen über meinen Vater, Hermann Link. Mai/Juni 2017
„Hic agit et facit Arminius Octavus“
Mein Papa ist dieses Frühjahr, 2017, im Alter von 80 Jahren gestorben. Wie und warum, das ist ein anderer Text, ob ich den schreibe, das weiß ich nicht. Ich bin sein Sohn Wolfgang.
Hier schreibe ich, was mir über ihn wichtig erscheint.
Es soll meine Sicht auf meinen nun nicht mehr unter uns weilenden Vater werden.
Für wen wohl sollte ich das schreiben? Nun ja, für mich. Und mit welcher Perspektive, für wen außer für mich selbst? Alle die ich kenne kannten ihn und brauchen meine persönliche Sicht kaum – oder sie kannten ihn nicht, dann aber wird der Text für sie nicht wichtig sein. Also denke ich mir jemanden, der ihn zwar nicht kennt, den Text aber möglicherweise dennoch lesen will. Naheliegend wäre ein Ur-Enkelkind. Meine Eltern haben heute noch keine Ur-Enkel, und ob es Ur-Enkel geben wird ist ungewiss. Also schreibe ich das auch in Gedanken an einen möglichen Ur-Enkel-Menschen, nennen wir ihn Prim (Prim, tja, weil erster Ur-Enkel).
Sinnvoll, lieber Prim, ist sicher zuerst ein kurzer Lebenslauf. Dieser unter Deinen Urgross-Papas ist 1936 geboren, im Juli, als achtes Kind von 14 Kindern auf einem Bauernhof knapp außerhalb von Ettlingen, am sogenannten ersten Brückle an der Bundestraße 3 Richtung Grünwettersbach. Er hat also als kleiner Junge noch die letzten Jahre des zweiten Weltkriegs (1939-1945) erlebt, aber wohl nicht Hunger und echte Not, weil in der Landwirtschaft immer etwas zu Essen vorhanden war. Aber eben Arbeit, Härte, Strenge, Entbehrung. Er hat vom ersten Brückle aus über Karlsruhe Flugzeuge gesehen, die Bomben wie Kartoffeln auf die Stadt haben fallen lassen.
Als sehr kleiner Junge hat er ins Herdfeuer gefasst und sich die Hand und einiges mehr verbrannt. Die Verletzungen heilten schlecht, er trug jahrelang Verbände, er hat auch gewisse Zeiten als Pflegekind außerhalb seiner Familie gelebt, vermutlich weil er zu der Zeit als Kind für die Landwirtsfamilie zu anstrengend war. Wahrscheinlich hat er viel geweint und ist davongerannt, wenn zum Beispiel die Wundverbände (unter Schmerzen) gewechselt werden mussten. Wenn man dieses Kinderschicksal zusammen denkt mit unseren heutigen Einstellungen oder Erkenntnissen zur frühkindlichen Prägung, dann hat mein Vater ein Kindheitstrauma mit Feuer, Schmerzen, Krankenhaus, Verlassenwerden und solches alles gehabt.
Ich weiß nicht sonderlich viel über ihn als Jugendlicher. Mit 10 Jahren waren die Verbände und Schmerzen sicher überwunden, und er hat in seinem nächst-jüngeren Bruder Fritz einen sehr guten Freund und Kameraden gehabt. Es gab bestimmt, neben und bei der ganzen Arbeit in der Landwirtschaft auch Abenteuer und Fez. Es war die Zeit, als die ersten Traktoren und andere Maschinen in die Landwirtschaft einzogen. Die Alten arbeiteten mit der Kuh oder dem Pferd als Zugtier, die jüngeren mit dem Bulldog als Zugmaschine (so sagte man für Traktor).
Mein Papa hat dann offensichtlich wenige Jahre nach dem Volksschulabschluss in Ittersbach bei einer guten, freundlichen Müller-Familie gearbeitet, Mehl ausgefahren, und winters im nahen Augustenberg Landwirtschaft (Landwirtsgeselle) und Baumwart gelernt. In der Zeit hat er sich in der Winterkälte auf dem Motorrad ein Stück Ohrläppchen abgefroren. Man fuhr zu der Zeit mit Lederkappe, nicht mit Helm.
Anschließend lebte er wieder zu Hause, von wo aus er dann geheiratet hat und im Haus seiner Schwiegereltern in die kleine Wohnung 1. Stock gezogen ist, da war ich schon ‚unterwegs’. Das war dann 1958, er war 20 und 21 Jahre alt. Die Familie meiner Mutti war die zweite Familie, in der er ein herzliches Familienleben kennengelernt hat. Meine Mutter ist das jüngste von 5 Kindern, es gab also schon eine Schwägerin und drei Schwäger. Er hat mit seinen Schwägern gut kooperiert, in der Freizeit (Kartenspielen am Sonntag am Tisch der Oma Schwarz) und bei der Arbeit (Bäume schneiden, Hausbau), und die Oma Susanne Schwarz und er haben sich zeitlebens sehr gut verstanden. Mein Opa Michael Schwarz war auch dabei, bis zu seiner Rente fleißig, friedlich, aber nicht tonangebend.
Irgendwann zwischen Augustenberg und Heirat hatte Dein Urgross-Papa einen Motorradunfall, auch davon hat er am Bein Narben davongetragen. Ich habe, liebe Prim, leider die Details vergessen. Meine Mutti könnte noch mehr darüber wissen. Da gibt es diese Geschichte, dass unter dem Gips die Wunde noch feucht war, und er gegen den Willen des Arztes den Gips an der Stelle aufgeschnitten hat. Er hatte damit recht gehabt, die Wunde eiterte schon und musste versorgt werden. Er hat sich schon zu der Zeit mehr auf sich selbst als auf Behörden und Autoritäten verlassen. Er hat wohl zu der Zeit begonnen, seine eigene Überzeugung mit der faktischen Wahrheit zu vermischen, der Ausdruck dazu war dann „wahrscheins“, im Sinne von „ganz bestimmt“ und eben „Tatsache!“.
Gearbeitet hat er als junger Familienvater zuerst lange Jahre in der Brauerei Huttenkreuz in Ettlingen, als LKW-Fahrer, Bier ausliefern in Wirtschaften und Privathaushalten, später in der Brauerei Moninger in Karlsruhe. Er ist viele Jahre mit einem Mokick (Moped) gefahren, ein sehr kleines Motorrad, Kreidler Florett. Noch später hat er dann 10 Jahre lang mit Deiner Urgrossmama ein Taxi-Unternehmen geführt, mit eigener Funkstation am Telefon zuhause im Wohnzimmer, und mit zwei Taxi-Autos. Sie haben sehr gut zusammen gearbeitet, und mein Vater hat die Fähigkeiten seiner Frau neu und gut kennen und schätzen gelernt. Verschiedene Leute haben zeitweise am Funk geholfen. Ich habe auch viele Wochenenden Taxi gefahren oder nachts das Telefon und den Funk bedient. Meine Schwester Karin hat ebenso geholfen. In diesen Jahren war Karin auch schon nicht mehr zuhause, sondern in ihrer eigenen Mietwohnung, später Eigentumswohnung in Ettlingen. Papa war nach den 10 Jahren Taxi noch ein paar kurze Jahre in Karlsruhe Pförtner bei der Bundesversicherung, und ging mit 61 Jahren etwas vor der Zeit aber wegen seiner Verletzungen (Verbrennungen) und resultierenden Behinderungen (dazu auch Rheuma und Arthrose) schon auch in der Zeit in Rente. Und hat sich ganz der Villa-Altblick gewidmet. Naja, die Villa-Altblick. Die ja ganz eigentlich die neue Villa-Altblick war
Soweit ein Curriculum Vitae in aller Kürze, viel fehlt natürlich. Gestorben ist er übrigens nach etwa vier Monaten Krankheitsphase, an Herzinsuffizienz, an abnehmender Stärke des Herzmuskels. Das verursacht keine starken körperlichen Schmerzen; er wurde immer schwächer, und hat das alles mit klarem Verstand erlebt. Er ist am 19. April 2017 gestorben, am sehr frühen Morgen, das war sein 59. Hochzeitstag mit seiner Frau, die Brigitt’ oder Gitta heißt, je nachdem; machmal auch Mutti oder Mama oder Oma. Eigentlich Brigitte Schwarz, verheiratete Link, geboren als sogenannte Volks-Deutsche im Dorf Oberufer bei Pressburg im heutigen Tschechien. Das war im Dezember 1939.
Mein Papa war groß, vielleicht war er 1,90m in seiner besten Zeit, und er hat gut ausgesehen. Als junger Mann benutzte er Pomade, das ist Haargel, man drückte das aus einer Tube auf den Kamm, das war Mode und die Haare waren dadurch dunkel glänzend. Eigentlich hatte er wohl hellbraune Haare. Er hat sie glatt nach hinten gekämmt getragen. Bis zuletzt hatte er volles Kopfhaar. Die Zähne des Kamms ergaben entsprechend Spuren in der Frisur. Dazu trug er zeitlebens starke Koteletten, ein bisschen Elvis-mäßig, obwohl er sich als Typ vor dieser Zeit entwickelte. Rock ‚n’ roll hat ihn nicht mehr geprägt, seine Zeit war eher die von Freddy Quinn und Katja Ebstein und Iwan Rebroff.
Er war schlank und als junger Mann stolz auf Bizeps und Körperkraft. Er hatte Kraft, klar, auch durch die Arbeit, und er war geschickt in seinem handwerklichen Tun. Zwar hatte er die Behinderung, seiner rechten Hand fehlten die jeweils letzen Fingerglieder (verbrannt), und der Daumen war quer zur Hand Richtung des kleinen Fingers hin am Handballen festgewachsen. Er konnte mit der Hand nicht viel mehr machen als was man mit einer Faust machen kann. Also nicht schreiben, zum Beispiel. Aber wohl ein Säge bedienen, oder zur Not gerade so einen Kragenknopf schließen. Wir (also meine Schwester Karin und ich) haben ihm als Kinder sehr oft sonntags die Manschettenknöpfe auf der linken Seite in die Manschette seines Sonntagshemdes eingesetzt, das war so die Grenze seiner Geschicklichkeit mit seiner rechten Hand.
Seine Schrift und auch die Unterschrift war ein Abbild dieser Behinderung. Er war eigentlich Rechtshänder, aber durch die frühe Brandverletzung eben zwangsläufig Linkshänder. So hat der den Stift geschoben, statt ihn zu ziehen.
Seine Rechtschreibung war schlecht. Nicht miserabel, man konnte alles verstehen, aber eben schlecht. Das ist mir eigentlich nicht gut verständlich, weil er viel gelesen hat, Zeitung und auch Bücher, Konsalik und Simmel und auch andere Sachen, aber das war wohl erst nach der Schulzeit und zu spät um noch richtig Rechtschreibung zu lernen. Die eigentlich wichtige Schulzeit war ja während des Kriegs und er wuchs auf als eines von sehr vielen Kindern eines Landwirtspaars namens Adolf Link und Emma Link geborene Henkenhaf. Da war sicher nicht viel Zeit zum Lernen, wichtiger war, dass man für Regentage ein paar Schuhe ergattert hat (die den größeren Geschwistern zu klein geworden waren). Nur so als Beispiel. „Regenwetter und keine Schuhe“, das war ein geflügeltes Wort wenn es draußen regnete, bis weit nach meiner Kinderzeit. Mein Papa konnte sich sehr gut mit Elsbeth (sie ist Ehssans Pflegemutter, meine Frau) über beider Kindheitserlebnisse austauschen. Trotz der 22 Jahre Unterschied war da sehr viel ähnlich in Hohenlohe und Nordbaden.
Dein Urgroß-Papa, Prim, war ja kaum 21 Jahre alt, da kam ich schon auf die Welt. Und so kenne ich ihn seit er ein junger Erwachsener war. Er war ein Kind seiner Zeit. Man kann sagen, dass er seine Zeit seiner Arbeit und seiner Familie gewidmet hat, und Familie ist dann zum größten Teil seine eigene, Frau und zwei Kinder, und die Sippe seiner Frau. Als echtes Hobby hatte er die längste Zeit eigentlich nur das Singen im Männer-Gesangverein, namens Freundschaft Ettlingen. Als Kind war ich viele Male dabei, bin auch bei Auftritten oder beim Üben zwischen den großen Männern im Chor gestanden. Ich kenne aus der Zeit den italienischen Text von La Montanara, also vom Hören und Singen, ohne ich je gelesen zu haben. Sisente, cantare, cantiam lamontanara und so weiter. Ich könnte das nach-googeln, aber wozu, ich habe so viel aus der Theorie gelernt, das eben nicht. Ist auch schön.
Er hat sich einerseits relativ deutlich von seinem Elternhaus abgenabelt. Wir waren als Familie an Ostern und an Weihnachten dort, am ersten Brückle in der Durlacher Strasse, vielleicht bis ich 11 Jahre alt wurde oder so, dann nicht mehr. Aber andererseits kann man sehen, dass sehr vieles von dem, was sein Leben bestimmt hat, einfach ein Spiegelbild oder Schatten seines Elternhauses war. Und weil das bei mehreren seiner Geschwister so war, so gibt es hier deutliche Parallelen zwischen vielen dieser Adolf-und-Emma-Link-Nachkommen.
Er hat als wichtigstes Beispiel schon zu Beginn seiner Ehe ein großes Grundstück erworben, kaum 500 Meter von seinem Elternhaus entfernt. Ich war noch nicht in der Schule, da hat er schon dort eine feste Hütte gebaut, größer als ein Schrebergartenhaus und schmucklos, nur funktional, als Stützpunkt für die Arbeiten auf dem Grundstück. Das war dann aber schon das zweite Grundstück, auf dem wir als Familie zu Arbeiten hatten. Das erste solche Grundstück (pardon dass ich rückwärts-vorwärts erzähle) war direkt dort, bei seinem Elternhaus, einfach nur über die Strasse (die Bundesstrasse 3) hang-abwärts nach Norden, das war ein Pachtacker. Dort gab es statt einer Hütte nur einen Biwak-Wagen, einen Bauwagen, der eigentlich Räder hatte, dort aber dauerhaft aufgestellt wurde. Ich glaube es war ein Einachser US Army Militär-Bauwagen, den er vermutlich im Tausch gegen Bier oder so bekam und der dort unser Stützpunkt war. Mein Onkel Fritz würde die Details wohl noch wissen. Diese improvisierte Örtlichkeit wurde, wer weiß warum, „Villa Altblick“ genannt, es lag ja im Blick seines Alten, seines Vaters Adolf Link. Mein Papa hat seltsame Namen gegeben. Seinen Taxi-Funk, sehr viele Jahre später, nannte er „Kadi“ (sozusagen das Codewort über Funk), ich habe selten so ein doofes Codewort gehört, ganz ohne Bezug zu irgendwas. Er selbst sagte, Kadi, das sei eben der orientalische Richter. Na gut, aber was sollte das?
Was hat sich dort, auf diesem ersten Acker, abgespielt? Vielleicht war das Ganze 0,3 ha groß, nur so grob geschätzt, es war eine Gemeinschaftsaktion mit seinem Bruder Fritz. Auf einer kleineren Hälfte der Fläche standen Pfirsichbäume, ich muss raten aber es könnten 5 Reihen gewesen sein, mit je 15 Bäumen. Vielleicht mehr, ich war da noch ein kleiner Junge. Im frühen Frühjahr haben wir als Kinder geholfen, Karin und ich und noch viel mehr natürlich Mutti, aus dem Reisig (vom absichtlich verspäteten Pfirsich-Bäume-Schneiden), also aus den knospenden kleinen Zweigen, mit Bindedraht Sträußchen zu binden. Das wurde in Ettlingen an vielen Stellen von vielen Leuten gemacht, und diese Sträuße wurden verkauft. Pfirsiche blühen ja wie Mandeln, zu der Zeit war damals die Umgebung von Ettlingen während der Pfirsichblüte ein rosa Meer. Vom Vogelsang herab war das ein sehr schönes Bild. Später haben wir natürlich auch die Pfirsiche selbst verkauft, über den Wochenmarkt und über den Karlsruher Großmarkt. Pfirsich spricht sich zu der Zeit als „Pfersching“. Aber das ist, lieber Papa, ich weiß es ja, eine Deiner anderen Geschichten.
Auf einer größeren Hälfte der Fläche wurden Reihen von Erdbeeren gepflanzt, die berühmte Sorte Senga Sengana. Also pikiert, ausgepflanzt, gehackt, mit Stroh unterlegt oder mit schwarzer Folie, damit die Früchte nicht direkt auf der Erde zu liegen kommen oder früher reif sind, rechtzeitig gegen Botrytis gespritzt, und dann gepflückt (das spricht sich gezopft, von zupfen) und verkauft. Wir konnten als Kinder viele 5 Pfund-Körbchen füllen fast ohne rote Finger zu haben (rote Finger bekommt, wer die Erdbeeren beim Pflücken verletzt).
Das hier ist übrigens das Zeichen für Pfund, also 500g. Das schreiben die Marktfrauen mit Kreide, als Gewichtsauszeichnung.
Weil das dort gemeinsam mit dem Onkel Fritz lief, und mit dessen (also „dem seiner“) Frau Gisela, deswegen kennen Karin und ich deren Kinder ganz gut aus der Zeit, das sind Anette, Wilfried und Volkmar. Sie sind etwas jünger als wir, durften meistens spielen, während wir schon arbeiten mussten. Jetzt gibt es diesen Acker zwar noch, aber der Zaun, der große Birnenbaum vorne, und darunter das viele Rührmichnichtan (Impatiens noli tangere), alles ist nicht mehr da. Im Herbst, wenn die Erdbeerzeit vorbei war, haben wir dort auch schon mal Drachen steigen lassen. Mutti konnte super und schöne Herbstdrachen bauen. Einmal hat Papa einen gebaut, der aber flog nur ganz schlecht und schief. Tja.
Eine ungewöhnliche Besonderheit dieses Örtlichkeit, der später so-genannten „Alten“ Villa-Altblick, war, dass mein Papa mit dem Onkel Fritz (und auch mit mir) dort gemeinsam einen Brunnen gegraben hat. Hangaufwärts und ziemlich weit hinten auf dem Stück. Sie haben ein Kanalisationsrohr aus Beton, also eigentlich einen Beton-Ring, flach auf den Boden gelegt. Man kann darin stehen, der Ring ist dann etwa wadenhoch. Dann gräbt man innen die Erde weg, bis der Betonring nach unten rutscht. Man legt einen zweiten Ring oben darauf, gräbt wieder die Erde heraus, und so weiter. Später zieht man per Traktor die Erde am Seil, eimerweise, über eine Umlenkrolle an einem Balken-Dreibein aus dem Brunnenloch nach oben. Es gab dort also lange Zeit einen recht tiefen Brunnen, 10 Meter oder so tief, mir ist aber nicht bekannt, dass das jemals zur Bewässerung der Erdbeeren getaugt hätte. Sehr viel Arbeit allerdings war das Ganze. Ob es davon noch Reste gibt? Ich kann mir nicht vorstellen, dass irgendjemand die vielen Betonringe wieder aus dem Boden geholt hat. Vermutlich ist alles was tiefer ist als ein Meter noch da, und vermutlich ist das Brunnenloch dort auch nicht ordentlich zugeschüttet worden. Ich müsste den Onkel Fritz fragen, der könnte es wissen.
Das Gelände dort ist etwas hängig. Das Grundstück oberhalb, Richtung Opa Link (mein Opa, also Adolf Link, also Richtung seines Anwesens – dort wohnt übrigens jetzt Papas jüngster Bruder, Franz mit seinem Hofladen), also in der Richtung lag dann das nächste Grundstück etwas oberhalb eines Raines, nicht sonderlich hoch. Ein Rain ist eine Geländestufe, wie ein Damm, nur dass es auf der anderen Seite nicht mehr runter geht. Dort gab es hinter und unter reichlich Gestrüpp und wer-weiss-was-noch in diesem Rain eine kleine Höhle. Dort und in einer Hütte dort hauste zeitweise ein Mensch, der den Namen ‚Riedes Max’ trug. Vielleicht hieß der Mensch Maximilian Riede, tja. Sachen gab’s! Kennst Du schon den alten scharz-weiss-Film „Wer die Nachtigall stört“? Das war einer der ersten Filme, die ich als Kind sehen durfte, das war bei einem Besuch der Eltern von Tante Gisela, also bei der Familie Faden – die hatten schon früh einen Fernsehapparat. Der Film hat mich als Kind sehr mitgenommen. Der Riedes Max kommt fast auch vor in dem Film.
Bald schon wurde der Schwerpunkt der Arbeit und dann auch alle Aktivität in die neue Villa-Altblick verlegt (etwa 400 Meter oder cirka 15 Äcker weiter westlich), die dann die eigentlich Villa-Altblick wurde. Das Grundstück war dann ja Papas also unser Eigentum, kein Pachtacker mehr. Ab da war es dann eine Aktivität von Hermann Link allein, und der Bruder Fritz kam eben manchmal, zum Helfen oder um Hilfe zu bekommen, oder mehr noch um Geräte auszuleihen oder verzuleihen. Mein Onkel Fritz hatte nicht sehr weit weg eine ganz ähnliche „Hütte“, also „Gelände“, also „Acker-Ranch“.
Einer der wesentlichen Helfer beim Bau der ersten Hütte dort war ein Schwager Deine Urgroßvaters, der Mann der ältesten Schwester (Christl) meiner Mutter, namens Michael Siebenstich, von Berufs wegen Bau-Vorarbeiter, Polier, Capo, also bestens geeignet für das Ganze. Eine Besonderheit dieses Onkel Michels war, dass er im Krieg als ganz junger Mann ein Auge verloren hatte, so trug er ein Glasauge, sehr interessante Sache. Ich glaube, es war sein linkes Auge.
Ich habe eine Erinnerung, wie ich als kleiner Junge in der neu errichteten Hütte stehe, die noch kein Dach hat, und meinem Papa, der da oben im fehlenden Dach herumturnt, eine Säge hochreiche, damit es mit dem Bau des Dachs vorangeht. Er musste sich tief herunterbeugen, um die Säge mir abzunehmen. Das könnte etwa 1963 gewesen sein. Diese Hütte war dann natürlich im engeren Sinne diese „Villa“, im weiteren Sinne aber ist das ganze Anwesen dort, also auch die Ackerfläche, Gartenfläche, Bäume und alles die „Villa“. Wenn ich recht überlege, dann muss der Bau dieser ersten Hütte auf dem Geländer der neuen Villa Altblick mehrere Jahre vor der Aufgabe der Arbeiten auf der Fläche der alten Villa Altblick gewesen sein. Wir (die Familie Hermann Link) haben ja beide Flächen, besonders mit Erdbeeren, eine gewisse Zeit parallel betrieben.
Später wurde auf demselben Grundstück (neue Villa-Altblick) ein wesentlich größerer Bau errichtet, mit drei sogenannten Feldern, jedes Feld größer als diese erste Hütte, und das erste Feld mit Kellergeschoss. Die tragenden Elemente dieses Gebäudes sind sogenannte Holz-Binder, also hausgroße Balkenverbundkonstruktionen, und es ist mir unklar, wie diese riesigen Holzgebilde hertransportiert wurden. Das muss doch eigentlich die Kapazität eines LKW übersteigen. Fritz verdiente zu der Zeit sein Geld als Kies-Laster-Fahrer, ich glaube sein LKW gehörte ihm. Dennoch, wie das wohl ging? Vielleicht haben sie sie vor Ort doch zerlegt und auf dem Geländer der Villa dann wieder zusammengesetzt? Diese Binder waren beim Abriss des Schwarzwaldhotels in Karlsruhe „übrig“ und nun seit etwa 1970, tragen sie als Wände das Dach diese große „Hütte“ (auch „untere Hütte“ genannt, weil die erste Hütte hangaufwärts steht, als „obere Hütte“). Ich war dort dabei, als wir die Leiche des Hotels plünderten, Monier-Eisen, also Beton-Bewehrungsstahl, Holz, alles Mögliche und Unmögliche wurde mitgenommen.
Das Schwarzwaldhotel war ein Hotel am Rüppurrer Schloß, Herrenalber Strasse.
Die Rückwand, also die westliche Wand des Kellers der neuen Villa-Altblick wurde so errichtet: Es wurde dort ein Schacht in den Boden gegraben, so schmal dass ich als Junge noch gerade so darin stehen konnte, und sehr tief. Ich war wohl 11 Jahre alt, also schmal. Die ganze Länge des Schaufelstiel, plus meine Arme, plus Schulter-zu-Fuss, war der Schacht tief, und am Ende konnte ich die Erde mit der Schaufel kaum noch hinaufreichen, wo sie ja von meinem Papa oben abgenommen wurde. Dieser Schacht fiel nicht in sich zusammen, weil der Boden dort viele Meter tief guter Löß ist, das steht gut, solche Lößwände bleiben lange stehen. Dann wurde zur Armierung Baustahlmatten und anderes Eisen hineingestellt, und das Ganze mit Beton aufgefüllt. So stand dann also unterirdisch eine dicke, tiefe Betonmauer, die zunächst das rückwärtige Fundament für das erste Feld der „Hütte“ war. Später, als die Hütte schon ein Dach hatte, stellte sich der Onkel Fritz mit einem Bagger (ja, er besaß dann zur rechten Zeit einen Bagger) in die Hütte und baggerte den Keller aus. Sozusagen ohne dass man es groß sehen konnte, heimlich. Nicht immer oder nicht immer rechtzeitig hatte alles, was getan wurde, einen behördlichen Segen. Ja, es gab dann auch schon einen roten Punkt, eine Bauerlaubnis. Jedenfalls, dadurch wurde diese unterirdische Mauer zur rückwärtige Mauer des Kellers, und sie geht noch tiefer, unter das Niveau des Kellerbodens, in den Untergrund hinein. Die nördliche Wand des Kellers hat Papa dann, teils auch mit mir als Hilfsarbeiter und Zeuge, mit Sandsteinen dahingemauert wo sie jetzt ist, und die anderen Wände, die zwei Lichtschächte und die Treppe zum Licht hinauf mit Holzschalungen und Eisenarmierungen in Beton ausgeführt. Mehrfach war Onkel Michel Siebenstich dabei. Ich habe viele Stunden mit dem Zimmermannshammer auf die Holzverschalung geklopft, damit die Luft aus dem Beton nach oben steigt und also die Betonmauer später keine Luftlöcher hat. Hat sie entsprechend auch nicht, sieht man heute noch. Weil, verputzt wurde minimal, Schönheit brachte ja kein Geld ein.
Der Aushub des Kellers ist das Material, mit dem der Grund für den jetzigen Zufahrtsweg gelegt wurde. Die erste Zufahrt von der B3 her war ja ein Weg an der Westgrenze des Geländes, das war ein unbefestigter Weg. Der jetzige Weg besteht aus zwei Spuren, jede aus quer zum Weg liegenden Betonschwellen, es sind ehemalige Bordsteinkanten oder etwas Ähnliches. Ich bin nicht sicher was das original war; sie sind regelmäßige Quader, glatt auf allen Seiten. Jedenfalls sind sie mit entsprechender Hebezange von zwei Personen nur gerade so zu packen, und wir haben es geschafft, als wir im besten Alter waren. Jetzt, mit 59 Jahren, könnte ich das nicht mehr. Außerdem war ich auch nicht immer dabei wenn gebaut wurde, ich war ja in der Schule oder im Akkordeonverein oder zu Hause im Eichenweg.
Und was waren nun die Aktivitäten auf dem Gelände dieser neuen Villa-Altblick, mit dieser supergroßen Schleppdach-Scheune als Stützpunkt? Es wurde jahrzehntelang weiter Erdbeeren angebaut und an Privatpersonen und an Edeka-Läden und Altersheime und ähnliches ausgeliefert. Die Früchte waren dadurch natürlich zwei Tage frischer als Ware aus dem Großmarkt tagesfrisch gepflückt geliefert, und so hat mein Vater (oder die Familie) mit seiner Arbeitskraft und der seiner Frau und seiner Kinder Geld verdient. Außer Erdbeeren gab es in der warmen Jahreszeit noch Pfingstrosen, Kirschen, Johannisbeeren, Himbeeren, Pfirsiche, Pflaumen, Zwetschgen, Birnen, Äpfel, später noch fast 20 Jahre lang Kürbisse dazu (oder dann auch anstatt). Nüsse gab es auch. Im Dezember wurden Weihnachtsbäume verkauft, und das nicht wenige, am Standort Eichenweg und viel später auf der „Insel“, die liegt nicht weit weg von der Villa. Wahrscheinlich fehlt noch etwas in der Aufzählung.
Ja, es fehlt das Bäume schneiden. Im Winter, meistens Samstags, mehre Monate lang, ging Papa mit der Leiter, Baumsäge und der Rebschere los, um in der näheren und weiteren Umgebung in Ettlingen in Privatgärten die Obstbäume zu schneiden, gegen Bargeld. Ich bin gefühlt meine gesamte Kindheit und Jugend dabei gewesen, nicht immer freiwillig. Im Winter ist es kalt. Als ich noch kleiner war, um das Reisig zusammen zu lesen, dafür gab es von den Leuten oft Taschengeld. Später dann um beim Bäume schneiden zu helfen. Bäume schneiden habe ich beim Tun gelernt, ohne Theorie dazu. Mit der Baumsäge, Arbeitshandschuhen und der Rebschere in der Hand bin ich in einer bestimmten, anderen, wohl bekannten Rolle, ein anderes Körper- und Lebensgefühl. Wir sind oft von einem Garten direkt in den nächsten, manchmal auch wenn die Leute gar nicht zu Hause waren, dann wurde uns das Geld eben später gebracht. Ich kann mich an viele Gärten und Obstbäume in Ettlingen erinnern, manche sind inzwischen unter Neubauten verschwunden.
Am zivilen (also als Gegensatz zur Villa, die ein knapp außerhalb der Zivilisation war) Stützpunkt seines Daseins, also am Haus seiner Schwiegereltern im Eichenweg, wo seine Familie und des nachts er selber wohnte, dort stand im Hof ein weißes Schild mit schwarzer Aufschrift: „Obstbäume und Beerensträucher hier zu haben“. Er hat also auch noch junge Bäume und Sträucher verkauft, nur woher nahm er sie? Sicher von einem seiner vielen Brüder oder von seinem Vater. Die ganze Link-Großfamilie betrieb Varianten desselben Geschäfts.
Es gab in der Villa-Altblick einen Traktor, einen Lanz Bulldog. Ich denke es war ein Lanz 2206, etwa aus dem Jahr 1953, mit 13 oder 17 PS oder so. Damit wurde gepflügt (das hieß gezackert), gegrubbert (das hieß kultiviert), geeggt (dazu musst man hinterher laufen und die Egge schaukelnd bewegen, damit sie nicht verstopft).
Es war ja so, dass es im Hägenich, also Richtung Südosten, im Gelände nach unten, es noch mehrere Äcker gab, auf denen Dein Urgroßpapa Weizen, Roggen (das hieß Korn) und Raps (das hieß Reps) anbaute. Zu anfangs, später nicht mehr. Wir hatten zuhause in der Waschküche einen Kanister aus Metall, vielleicht 5 oder 7 Liter groß, darin war das Öl für die Küche, eben Rapsöl. Das war also noch altertümliches Rapsöl, mit Erucasäure, wir waren offensichtlich zu der Zeit nicht so empfindlich wie wir es heute sind (das moderne Rapsöl ist hochwertig und Erucasäure-frei). Ob das aus dem eigenen Raps stammte, das weiß ich nicht. Vielleicht wurde das Speiseöl auch bei Raiffeisen gegen Raps-Erntegut eingetauscht? Mutti müsste es noch wissen.
Ich habe ein Erinnerung, dass ich mit vielleicht 6 Jahren den Lanz Bulldog unten im Hägenich über einen der Äcker gelenkt habe, und hinten, auf dem Anhänger, stand mein Papa und hat mit der Mistgabel stinkendes schwarzes Zeug auf den Acker gestreut. Das war Abfall von der Maggi-Produktion (also von der Suppengewürzproduktion), bestimmt nährstoffreich. Vielleicht wurde es auf einem Brauerei-LKW von Dr. Öttker in Ettlingen in die Villa Altblick geschaukelt, wie auch immer. Diese Fahrt und das Ausstreuen gingen langsam, und wenn die Länge des Ackers zu Ende ging, dann sprang Papa vom Anhänger herunter, ging neben mir am langsam fahrenden Bulldog entlang und zog mit einer Hand das Kupplungspedal (Fußpedal) herunter. Ich konnte dann auskuppeln, und so stoppte dann das buffernde, rauchende, im Takt des einzigen Kolbens schaukelnde Gefährt. Ich stand zwar auch helfend mit beiden Beinen auf der Kupplung, aber mein Gewicht war nicht ausreichend, um das schwergängige Pedal nieder zu drücken. Papa hat dann den Bulldog gewendet, und dann fuhr ich wieder mit ihm hinten auf dem Anhänger eine lange Ackerlänge zurück. So ging das. Übrigens, den Lanz Bulldog konnte man in jedem Gang aus dem Stand anfahren lassen, und man hat während der Fahrt nie hochgeschaltet, jedenfalls nicht auf dem Acker. Dieser Lanz Bulldog ist nun im Besitz meines Cousins Wilfried, fährt aber nicht mehr.
Wie lange er Mähdruschfrüchte angebaut kann ich nicht sagen. Ich weiß, dass Onkel Fritz einen roten Mähdrescher besaß, und dass es schwer war, die vollen Getreidesäcke mit Schnüren gut zuzubinden, Schwielen wären da hilfreich gewesen. Ich habe sie zwar bekommen, aber halt immer zu spät. Es war auch schwer, die Säcke dann vom Mähdrescher weg auf den Anhänger zu bringen. Ich weiß, dass wir das Erntegut dann mit dem Bulldog relativ weit weggefahren haben, nach Wilferdingen, Richtung Pforzheim über die B3 und weiter, um es dort bei Raiffeisen oder ähnlich abzuladen und also zu verkaufen. Vermutlich hatte der Bulldog zu der Zeit noch TÜV.
Tiere hatte er, Hermann der Achte, in seiner Villa selten. Es gab eine Zeit, da hatte er Stumm-Enten, das Gatter war zwischen den Pfingstrosen und dem Geländer von Elsässer (der andere westliche Nachbar, außer der Frau Hamm; beide sind verstorben). Wir hatten entsprechend auch manchmal die Eier der Stummenten, aber die legen natürlich viel weniger als es Hühner tun. Auch die Enten waren nichts, womit er seine liebe Frau glücklich gemacht hätte. Aber für ihn war das anscheinend kein Hauptargument. Und wir hatten einige Jahre einen Raben. Das war wohl inspiriert von einem Huttenkreuz Arbeitskollegen namens Weissmann, ein ex-Jugoslave und Gipser. Ich glaube, sein Name steht auf der Kondolenz-Liste vom April 2017. Dieser frühere Arbeitskollege hatte bei sich zuhause einen zahmen Raben. Unser Rabe hatte seine Voliere dort, wo inzwischen der Parkplatz für Papas Auto ist. Ich glaube nicht, dass der Rabe (der hieß natürlich Jakob) ein übermäßig glückliches Leben hatte. Eines Tages war er tot. Die zwei Schildkröten sollte ich auch erwähnen, aber darüber wissen alle Bescheid, zum Beispiel auch meine Cousine Ingrid Diebold (geb. Hetznecker).
Zum Thema Most und Schnaps muss auch noch etwas gesagt werden. Mein Papa hat seit den frühen siebziger Jahren Schnaps brennen lassen und parallel auch Süßmost und Most gehabt, und teilweise auch Apfelsaft machen lassen. Für den Schnaps hat er die Birnen benutzt, die parallel zum Einfahrtsweg wachsen, und die großen Birnenbäume, die an anderen ‚Stellen’ wachsen, zeitweise auch außerhalb von Ettlingen, zum Beispiel in Auerbach. Es gab, bevor die Bundesstrasse B3 erneuert und tiefer gelegt wurde, vorne an der Villa einen alten und großen Birnenbaum, in dem auch verschiedentlich Wespen oder Hornissen ihr Nest hatten. Das Holz dieses Stamms liegt, auf Dielenstärke geschnitten, irgendwo, früher lag es in der oberen Hütte beim Eingang rechts. Wenn ich schon die Erneuerung der B3 erwähne (wann war das?), dann muss ich auch erklären, woher die Villa-Altblick ihren elektrischen Strom hat. Gegenüber der Villa, leicht östlich versetzt, sind der Hof und das Anwesen des Landwirts Wiegert, das ja inzwischen auch schon der Nachfolger (Sohn) übernommen hat. Als die Bundesstrasse erneuert wurde, hat mein Papa wie auch immer es geschafft, dass im Untergrund der Strasse ein geeignetes Kupferkabel die Strasse unterquert, und so den Strom von dem Hof gegenüber auf seine Seite der Strasse führt. Ich denke, dass im Untergrund der B3 ein Rohr liegt, in dem das Kabel unter der Strasse die Strasse quert. Das Kabel kommt dann auf der Altblickseite etwas zu weit östlich an, und läuft dann ganz vorne an der Stirnkante des Ackers nach Westen (als dazu der Graben gemacht wurde war ich dabei, da war ich gefühlt vielleicht schon 18 Jahre alt), bis es dann ja wohl zuerst zum Verteilerkasten läuft, und von dort in der Mitte des Zufahrtweges nach hinten zur Villa. Die Villa Altblick hatte schon vor dem Umbau der B3 Strom, seit dem Bau der großen Hütte, also etwa seit 1970. Zuerst kam der Strom direkt von der Stadt, auf der nördlichen also unserer Seite der Strasse daher. Auch das hat Papa seinerzeit irgendwie gedeichselt, das kann behördenmäßig nicht ganz leicht gewesen sein.
Zurück zu Most und Schnaps. Es gibt etwas östlich und mehr südlich vom Haus des Adolf Link (also inzwischen Franz Links Hofladen) noch ein Stück, auf dem mindestens Apfelbäume stehen, möglicherweise auch Birnen (der sog. Judenbuckel). Das Erntegut von dort wurde auch u.a. für Schnaps verwendet. Es gibt direkt nördlich von der ehemaligen (ersten) Villa-Altblick ein Stück, auf dem Kirschen und Apfelbäume stehen (das sog. blaue Stück), diese Äpfel wurden auch teils über Winter eingelagert (im Keller der Villa), teils gemostet und geschnapst. Außerdem gab es ja immer schon in der Siedlung Trauben, rote und weiße, und als dann die Oma Schwarz keine Traubensaft mehr gemacht hat, dann waren diese Trauben und andere auch Material für Most und Schnaps. In der Villa selbst wuchsen später auch Trauben, an der oberen Hütte (also an der ersten Hütte des Standorts). Ein Teil des Schnapses bleibt beim Brenner, als Tausch statt Steuer, das war bis vor Kurzem so legal, der Rest war dann Papas Schnaps. Es gibt allgemeinen Obstler, es gibt Birnen und Zwetschgenschnaps. Es gibt sortenreinen Birnenschnaps, so wie ‚Köstliche von Charnais’ oder ‚Williams Christ’, und es gibt so etwas wie ‚Birnenschnaps mit Pfirsich’ oder ‚Birnenschnaps mit Feige’. Es gibt Schnaps von 1972 und Schnaps von 2015, und alles dazwischen. Tja. Er hat immer wieder mal der Singstunde (Gesangverein Freundschaft) Schnaps verkauft, weil dort offensichtlich nicht nur gesungen, sondern auch getrunken wurde. Es gibt noch ein paar „Gesellen“, die auch jetzt noch von Zeit zu Zeit von Mutti einen Liter Schnaps kaufen.
Das Bier der Brauerei der früheren Jahre und der Schnaps aller Jahre waren sicherlich Betriebs- und Schmiermittel, um Dinge zum Laufen zu bringen und am Laufen zu halten. Wie sonst hätte es sein können, dass Papa riesige, tonnenschwere Felsbrocken aus dem Tunnel Ettlingen-Busenbach auf seinem Gelände liegen hat? Oder die Sache mit dem Strom, überhaupt und dann nochmals beim Neubau der B3? Auch der Bau der Villa überhaupt, mit offiziellem roten Punkt, okay, aber trotzdem. Es ist ja alles, was ist, amtlich genehmigt oder akzeptiert oder hat mindestens Bestandschutz, aber wie kam es zustande? Die Villa wird online ja mit Adresse als Gebäude gezeigt. Wer hätte da gedacht?
Nun schreibe über weiter über ‚die Sache mit den Brunnen’. Er hat ja, nach dem ersten Brunnen auf dem Pachtacker dann einen zweiten Brunnen gegraben. Vielleicht war ich 10 Jahre alt, es könnte also 1968 gewesen sein. Dieser Brunnen ist ganz vorne, westlich, und in der Nähe steht die grün gestrichene, von Tannen optisch geschützte Stromstation, an der ja zunächst der Strom ankommt. Dort vorne eben ist der zweite Brunnen. Den hat er fast ohne seinen Bruder Fritz und selten mit Bulldog-Hilfe gegraben. Vielleicht auch sind die Kanalisationsrohre etwas kleiner als beim ersten Brunnen, das könnte sein. Ich habe – in meiner Erinnerung – große Teile der Erde mit eigener Kraft hochgezogen, als Eimer-am-Seil, Papa hat gegraben. Unten war eine doppelte Schutzdiele quer, darunter stellte er sich, während ich den Eimer hochzog, damit fallende Brocken oder fallende Eimer ihn nicht treffen konnten. Ich habe aber niemals das Seil losgelassen. Wir arbeiteten viele, viele, viele Tage. Den Aushub haben wir meines Wissens zwischen den Birnenbäumen mit der Schubkarre einfach so verteilt. Ich glaube nicht, dass man das heute noch findet. In den Brunnen kam eine Pumpe, die wird immer noch dort sein. Die Ringe, aus denen der Brunnen besteht, haben Steigeisen, ich weiß nicht ob die schon immer darin waren oder ob Papa sie erst hinein betoniert hat. Jedenfalls konnte man an diesen Steigeisen hinunter gehen wie an einer Art Leiter. In diesem Brunnen war ich mehrere Male ganz unten. Unten stand knie- oder hüfthoch Wasser, der Brunnen ist vielleicht 12-oder-so Meter tief.
Aber, ein Erfolg war das nicht. Das Wasser lief sehr langsam nach, und meines Wissens wurde wenig dieses Wasser für die Bewässerung von Erdbeeren – das war ja wohl das Ziel - eingesetzt. Jetzt ist der Brunnen nicht mehr zu sehen, ich sollte mal ernsthaft versuchen, ob ich ihn überhaupt lokalisieren kann. Ich denke, er ist zugedeckelt und aus.
Wenn ich jetzt überlege, dann ist dieser erste Brunnen älter als der Umbau der B3. Es war zum Beispiel eine knifflige Frage und Papas Befürchtung, ob die neue B3 wohl über diesen Brunnen geführt würde, was dann ja nicht der Fall war. Wer weiß, ob er nicht in die Strassenführung hineingewirkt hat. Wer weiß das schon. Und der Brunnen hatte eine elektrische Pumpe. Eben, die Villa-Altblick hatte schon Strom bevor die B3 erneuert wurde, das ist klar.
Den letzten, dritten Brunnen hat der Herr der Villa-Altblick, Hermann der Achte, zwischen Schildkrötenplatz und Speierling gegraben, der Dreibock steht heute noch dort, aber er wird sehr bald zusammenfallen. Diesen Brunnen hat er dort gegraben, nachdem ein Wünschelrutengänger die Stelle bezeichnet hat. Also, so war Dein Urgroßvater auch, liebe Prim. So etwas hat er geglaubt, und man konnte ihm dagegen sagen was man wollte, man kam gegen ein „wahrscheins“ nicht an.
Er hat diesen dritten Brunnen überwiegend allein gegraben, das war vielleicht 2005 oder so. Er hat in bewährter Weise gearbeitet, mit Kanalisationsrohren aus Beton; nur, wie sollte die Erde nach oben? Weil er alleine war, hat er immer zwischen jedem zweiten oder dritten (?) Betonring eine Schaltafel (oder war es vielleicht eine doppelte Schaltafel) eingeklemmt, die die Form eines halben Kreises hatte, also die Fläche, den Raum halb eingenommen hat. Wie ein Halb-Balkon. Mit der Zeit waren also über ihm mehrere solche Flächen, Stockwerke, oder Balkone, und sie waren links-rechts versetzt, denke ich. Es muss unten dadurch noch schneller dunkel gewesen sein als sowieso schon, also hat er bei elektrischem Licht gegraben. Dann hat er also die Erde von ganz unten mit der Sandschaufel auf die nächst-höhere Ebene (Balkon) hochgeworfen, ist dann dort hinaufgestanden, und hat sie von dort wiederum eine Ebene (einen Balkon) hinaufgeworfen. Ich weiß nicht, wie viele Male jede Portion Erde (Sand, Kies, Schlamm, Steine, Lehm) schlussendlich hoch befördert werden musste bis sie ganz oben ankam, als er selbst ziemlich unten im Brunnen angekommen war. Wenn ich darüber nachdenke, dann weiß ich nicht, was für mich überwiegt, die Traurigkeit darüber, dass er so alleine war in seinem Tun, das Staunen darüber, dass er es trotzdem gewagt und geschafft hat, oder das Entsetzen über die dazugehörende unmäßige Unvernunft. Er ist etwa zwölf Jahre später an Herzschwäche gestorben; Unvernunft war dabei.
Lange Geschichte, kurzes Ende: obwohl auch noch eine Brunnenfirma den Brunnen, der bestimmt schon 14m tief war, noch um einiges vertieft hat, gegen Geld natürlich, ist dieser Brunnen auch nicht erfolgreich gewesen. Obwohl schon allerlei Infrastruktur (Strom- und Wasserleitung) im Keller der Villa dafür vorbereitet war.
Mit Arthrose in der Schulter hat er die westliche Kellerwand, dicker als 80cm auf jeden Fall, mit dem Schlagbohrer durchhämmert, um Strom aus dem Keller der unteren Hütte in den Brunnen zur Pumpe dort zu bringen (die obere Hütte hat wohl auch Strom, das sollte Fabian – Karins Sohn - einmal in Ruhe recherchieren). Und damit dann Wasser vom Brunnen in den Keller. Im Keller steht ein Druckkessel, um das erhoffte Wasser dann nach oben in das erste Feld der Villa zu pumpen, damit dort die Dusche und das WC funktionieren. Ja, Dusche und WC wurden und sind dort eingebaut, dort leben nun die Spinnen ein langweiliges Spinnenleben, sonst geschieht dort nichts.
Das Wasser, das all die Jahre wirklich in der Villa zum Waschen und Giessen vorhanden war, war Regenwasser vom Dach der großen Hütte. Es gab (gibt) ja entsprechend einen funktionierenden Wasserhahn, mit Seife und Handtuch, nicht ganz fünf-Sterne-Niveau. Vor der Villa, also sozusagen als optischen Anlocker bei der Ankunft (Ironie!), liegt ein mehrere tausend Liter Stahltank, schwarz, mit eigenem angestückeltem Dach, der das Regenwasser sammelt. Es gibt dazu eine eigene Umlenk- und Filterstation, auf Basis von BASF-Plastikfass und Schläuchen und Schlauchklemmen und Damenstrümpfen. Allerdings funktioniert das Ganze nur, solange wenigstens zweimal pro Woche jemand das Sieb und den Strumpf kontrolliert, sauber macht und frisch richtet. Im Herbst wurde immer das Wasser abgelassen. Jetzt ist die Wintereinstellung auf Dauer eingestellt, weil sich niemand kümmern kann. Im Winter fließt das Regenwasser direkt weiter, in die drei Sickergruben, und so ist das im und seit April 2017 einfach geblieben. Jetzt ist August 2017.
Es gibt oben, unter der namenlosen Hütte, noch einen kleineren Stahltank, vielleicht 500 Liter, der (nach dem Prinzip der kommunizierenden Röhren) vom Dach der oberen Hütte gespeist wird. Zeitweise war der auch voll mit Regenwasser. Er liegt höher als der große Tank, von dort aus konnte man Wasser besser mit dem Schlauch zu den Himbeeren oder was auch immer laufen lassen. Den Hauptinhalt dieser Hütte, den Anhänger mit der verbogenen Deichsel, wollte Fabian auf sein Ackerstück nach Auerbach stellen. Das ist ganz wie es Adolf Link machen würde, erstmal irgendetwas Legales auf ein Grundstück stellen, bis dann irgendwann daraus ein festes Gebäude als Stützpunkt wird. Tatsächlich aber gibt es neuerdings (Ironie) Behörden, und Fabian wurde das nicht genehmigt.
Ich habe noch nichts über die Pfalz geschrieben. Die Pfalz ist das Synonym für etwa fünf Grundstücke, die mein Papa dort nach und nach, aber auch sehr früh in seiner Ehe (und nicht zur Beglückung seiner jungen Frau) erworben hat. Sein Bruder Fritz, und ich denke auch Willi und womöglich Gustav haben auch „Wald in der Pfalz“. Unseres sind vier Waldgrundstücke und eine Obstbaumwiese. Meines Wissens. Das (1) Waldstück mit dem Tisch, das (2) früheste Stück mit den Douglasien, auf dem vor 2 Jahren die schönsten Douglasien gestohlen wurden, das (3) Waldstück mit den Kiefern, das (4) Waldstück auf dem ehemaligen Wingert (auch dort gibt es Reste von Beton-Fundamenten, also der Beginn eines Gebäudes, Bauleute Hermann und Fritz; es ist wahr aber kann man das eigentlich glauben?) und (5) die Obstbaumwiese, auf der er vor 10 Jahren oder so von der letzten Leitersprosse gefallen war, Mutti war dabei, und dann lange ein Stützkorsett tragen musste wegen angebrochener Sachen. Großes Drama war das.
Das frühe Leben in der Pfalz war, dass man im Sommer mit dem Renault hinüber gefahren ist, mit mir oder mit Karin und mir, mit der ganzen Familie oder sogar mit der Schwarz Oma (die hat dann Spinat im Topf zum Essen dorthin mitgenommen). Und dann musste man, solange die Bäume klein waren, in der Sommerhitze den Adlerfarn wegsicheln oder umtreten, damit der nicht über die Baumschul-Bäumchen wuchs. Die Weißtannen musste man mit Stacheldraht-bewehrten Latten vor dem Rehbock schützen, der sie sehr gerne zum Fegen nahm. Die wichtigsten Knospen umwickelten wir einzeln mit dem Staniolpapier (ähnlich wie Aluminium), das wir von den Hälsen der edleren Pils-Bierflaschen heruntergeschoben und gesammelt hatten. Ich glaube, wir haben die Knospen auch mit Teer oder irgendetwas bestrichen, zum selben Zweck. Heute sieht man, dass das alles nichts gebracht hat, die Weißtannen dort sind so alt wie die Douglasien, aber sehen aus wie Bonsai – oder sind tot.
Später, als die Bäume größer wurden, mussten sie jeweils im unteren Teil des Stammes entastet werden, damit das Holz wertvoller sei.
Viele Fahrten in die Pfalz wurden mit Wein-Einkauf verbunden. Es gab Albersweiler Latt, ein Weißwein für normale Tage, und Albersweiler Kastanienbusch, ein Weißwein für besondere Tage.
Und im Winter wurde dann zweimal vor Weihnachten hingefahren und wir sind mit einer unglaublich montierten Ladung Weihnachtsbäume zurückzukommen. Ich weiss die Zahl nicht, aber es waren sicher mehr als 30 Weihachtsbäume auf den Renault R4 gebunden. Nie hat uns die Polizei aufgehalten, was für ein seltsames Glück. Die Weihnachtsbäume haben wir dann im Hof der Siedlung aufgebaut, und viele hat tagsüber der Schwarz-Opa verkauft, abends dann eben wir alle. Die letzten 20 Jahre oder so wurden die Weihnachtsbäume auf der sogenannten Insel von Deinem Urgroßvater verkauft, lieber Prim. Es gab einen Fan, der hat über die Figur des Weihnachtsbaum-Verkäufers auf der Insel ein romantisches Fan-Epos verfasst, also über meinen Papa, das Schriftstück ist sicher noch vorhanden. Auch das ein Nachruf auf eine bestimmte Seite meines Papas.
Die Insel? Die Insel ist eine Verkehrsinsel von der doppelten Größe eines Schrebergartens, direkt am Eingang des Tunnels nach Busenbach. Beim Bau des Tunnels und der entsprechenden Zu- und Abfahrten wurden Grundstücke von der Stadt gekauft und getauscht, die Details weiß ich nicht, und Papa hat es fertiggebracht, dass man ihm diese Verkehrsinsel im Tausch mit Was-Weiß-Ich gegeben hat (er hat sicher auch einige Quadratmeter Land für den Tunnel geopfert). So besitzen wir nun diese „Insel“. Bei der totalen Sonnenfinsternis 1999 waren wir auf der Insel, um das Event von dort aus zu sehen. Wenige Sekunden bevor es vorbei war, riss der Himmel auf und wir konnten die schwarze Sonne sehen, und kaum gesehen lugte die Sonne schon wieder hinter dem Mond hervor. Die Autos fuhren am ‚helllichten Tag’ unter uns mit Licht.
Die Insel ist in zwei Teile organisiert, und hat entsprechend zwei Pächter. Lange Zeit war der hintere Teil an einen sogenannten Hühnervater verpachtet und der vordere Teil diente zur Aufzucht von Christbäumen. Aktuell gibt es wohl für beide Teil Pächter, aber ich habe keine Ahnung, wer das ist und auch sonst weiß ich nichts über die Verabredungen. Tja. Später einmal wird Karin die Insel erben, und dann vielleicht Milena oder Fabian, oder ein Urenkelkind, liebe Prim.
Auf dem hinteren Teil der Insel steht eine Hütte, nehmen wir einmal an, dass es dort ‚immer’ schon eine Hütte gab. Auf dem vorderen Teil der Insel ist ein Irgendwas, an dem man die Vor-Vor-Stufe der Entstehung eines Gewohnheitsrechts auf eine ‚Hütte’ in Status Nascendi sehen kann. Hinter diesem Irgendwas lagert übrigens der aufgelassene Grabstein der Großeltern Schwarz.
Es fehlt bestimmt viel, um meinem Papa und sein Leben und Wirken zu beschreiben, aber viel habe ich auch schon geschrieben.
Nun schreibe ich über die Unfälle, Prim, also über solche mit Konsequenzen, und von denen ich weiß.
Der Kardinal-Unfall war, dass Papa als sehr kleiner Junge, vielleicht mit zwei Jahren, ins Feuer fasste, wie schon beschrieben. Es sollen noch Leute in Ettlingen leben, über 90-jährig vermutlich, die sich erinnern, wie die Oma Link, also Emma Link geborene Henkenhaf, mit dem Mordio schreienden Kleinkind im Arm nach Ettlingen (also in die Stadt) ins Krankenhaus rannte.
Ein Unfall war der Motorradunfall, ich glaube in Ettlingen. Der Gips am Bein verbarg, dass die offene Wunde unter dem Gips schwärte, und die Ärzte wollten das nicht zugeben. So hat er selbst in den Gips ein Fenster geschnitten, und als es dann herausstank, konnte der Arzt die Sache nicht mehr abstreiten. Diese Stelle und Umgebung hat ihm dann ab dem etwa 40. Lebensjahr etwa siebenmal Probleme bereitet, mit vielen Jahren Ruhe dazwischen. Was war? Etwas in der Art von Knochen oder Knorpel oder Sehnen arbeitete sich von innen nach außen und durchbrach die Haut. Ein bisschen gruselig, alien-mäßig. Das Ding musste jedes Mal schlussendlich herausgenommen werden, damit die Wunde wieder heilen konnte.
Das hat mit Hin und Her immer geklappt. Das letzte Mal allerdings hat es über ein halbes Jahr gebraucht, bis die entsprechende Wunde zuheilte, und der Heilungserfolg stellt sich erst wenige Tage vor dem 19. April 2017 ein, und an dem Tag ist mein Papa sehr früh am Morgen gestorben, mit ganz knapp verheiltem rechten Bein. Als letzte und allerletzte waren meine Schwester Karin und Milena, ihre Tochter und seine Enkeltochter, bei ihm.
Ein anderer Unfall geschah auf dem Apfelstück (Obstbaumwiese) in der Pfalz. Papa war mit Mutti dort, vielleicht 2012 oder in dem Dreh, um ein paar Kisten lagerfähige Äpfel zu ernten. Die Details weiß ich nicht mehr, aber er fiel von der letzten Stufe der Leiter, musst dort notversorgt werden. Er trug lange Zeit ein Stützkorsett am Oberkörper, weil etwas angebrochen war, womöglich sogar das Rückgrat. Für Mutti war das eine schreckliche Erfahrung, sie war ja dabei und auf sie kam es an, um Hilfe zu bekommen. Handy gab es schon zu der Zeit, aber nicht bei meinen Eltern.
Viele Jahre davor, vielleicht 1985 oder so (viele Jahresangaben sind nur ungefähr) fiel er vom Kirschbaum, beim Kirschenpflücken. Es war der westlich stehende Kirschbaum an der namenlosen Hütte mit dem deichselverbogenen Anhänger darin (der andere dort früher stehende Kirschbaum war ein sog. Läbleskirschbaum, naja, wie man das wohl schreibt? - jedenfalls hatte der Baum immer ein kleines schmales Blättchen pro Kirschstiel, gute Kirschen sowieso; unter diesem Läbleskirschenbaum stand Papa und auch ich viele Tage viele Stunden, um mit dem Luftgewehr Stare und Amseln und andere Kirschräuber herunterzuschießen; ja, solche Sachen haben wir gemacht). Also auf das Dach dieser no-name-Hütte fiel er, auf den Rücken, und war eine ganze Weile schachmatt, aber dann ging es weiter und man durfte abends davon nichts erzählen.
Einmal, da war er schon einiges über 70, da fiel er hin, und mehr hat er nicht erzählt. Er hatte schon Schmerzen und hinkte wohl auch einige Tage, aber mehr hat er eben nicht gesagt. Viel später hat er mir dann gesagt, dass er eine Krähe verfolgt hat, der nicht mehr fliegen konnte. Ich habe es vergessen, halte es aber für gut möglich, dass der den ‚Krab’ angeschossen hatte. Der Krab floh in Richtung des Birnbaums, der einsam auf meinem Wiegert-Grundstück dort steht, und Dein Urgrosspapa mit der Mistgabel hinterher. Klar, um ihn zu erledigen, aufzuspießen, umzubringen. Der Jagdtrieb war da, ohne Zweifel. Und dann stürzte er, aber nicht der Krab, über eine Ackerscholle, über seine Stiefel, wer weiß. Ein über 70-Jähriger stürzt, in vollem Galopp, im Jagdfieber, mit einer Mistgabel in der Hand. Ich denke, er trug die Gabel mit den Zinken nach vorne gebogen, so dass die Zinken sich beim Sturz in den Boden gebohrt haben. Und nicht in ihn. Es gibt auf dieser Welt Schutzengel, wer es nicht glaubt, hätte zu Lebzeiten meinen Papa fragen sollen.
Sein schlimmster Unfall war ein Sturz aus etwa 6 Meter Höhe. Er war mit der Leiter unterwegs, außerhalb seines Geländes, zwei oder drei Äcker weiter weg nach Südwesten, um auf einem riesigen Pappelbaum (Zitterpappel, Espe, Aspe, er liebte diese Pappelnamen) etwas zu machen. Am Sonntag Vormittag. In Gottes Namen, nicht sein Acker, nicht sein Baum. Was suchte er da oben? Wenn er nicht ein ‚Krabbennest’ ausheben wollte, was dann? Wann das war? Vielleicht war es 2006, ich weiß nicht. Irgendwann im Hochsommer.
Er war oben auf der Leiter, ganz oben, und schaute über sich, und wollte mit der Baumsäge über sich etwas abschneiden. Es ist in dem Alter ganz normal, dass man beim Blick ganz nach oben das Gleichgewicht verliert, ich bin noch nicht 60, aber das weiß ich auch schon. Und dann stürzte er nach unten. Er war mehr oder weniger noch bei Bewusstsein, und nach ausreichender Zeit wurde ihm klar, dass er sich nicht mehr von dort weg bewegen konnte. Er bemerkte, dass eine junge Frau mit dem Pferd auf dem nahen Hägenich-Weg oder Käthenklamm-Weg vorbeiritt. Ein Sonntags-Ausritt. Als sie einiges später zurückkam war ihm klar, jetzt oder nie, es ging um sein Leben. Er rief, wie man mit gebrochenen Rippen, aufgerissener Milz, gebrochenem Becken und Gehirnerschütterung eben rufen kann. Diese junge Frau, ich weiß den Namen nicht, hat meinem Papa das Leben gerettet. Sie hat per Handy die 112 angerufen, der Rettungshubschrauber kam, meine Mutter wurde angerufen. Als sie mit ihrem VW Lupo ankam, und dann erst noch suchen musste (es war ja nicht auf dem Geländer der Villa), da hob gerade der Rettungs-Hubschrauber ab, mit Papa als Fluggast.
Er lag dann entsprechend lange im Krankenhaus, der Milzriss war tagelang kritisch, lebensbedrohlich. Das gebrochene Becken heilte zusammen, aber es blieben immer Schmerzen zurück. Papa hat seit der Zeit immer wieder, vielleicht mit Pausen aber immer wieder, Schmerztabletten gebraucht.
Ich will noch aufnotieren, dass die Wohnung im Eichenweg 10 einmal ausgebrannt ist, überwiegend der alte Teil, nicht der Neubau. Das war während der Taxi-Zeit. Der Brand begann in der Küche. Als ich dann aus Stuttgart-Hohenheim nach Ettlingen kam, war die mehr oder weniger ganze Großfamilie da, hat Tapeten heruntergepuhlt und alles für die Renovierung vorbereitet. Es hat meinen Eltern viel Geld gekostet, die Versicherung hat sich auf Unterversicherung berufen usw. Vielleicht war die Ursache ein Defekt an der Kaffeemaschine. Jedenfalls, seither wird im Eichenweg bei der Kaffeemaschine der Stecker gezogen, sobald der Kaffee durchgelaufen ist. Mutti war die letzte, die das Haus vor dem Brand verlassen hat – sie musste ja auch Taxi fahren. Papa hat Mutti wegen des Brands nie einen Vorwurf gemacht, ich halte das für seine größte Heldentat, eine Leistung, die er ohne die sonst mit seinen Abenteuern vermischte Unvernunft zustande gebracht hat. Chapeau.
Über die cirka 130-oder-mehr Spazierstöcke, die er er über Winter in den letzten Jahren (im Keller, im Eichenweg) geschnitzt hat, deren Legende und Historie, habe ich wie über manches andere auch nicht geschrieben. Darüber weiss Karin und Milena noch besser Bescheid.
Ich will sagen, dass mein Papa sein Leben nach seiner Façon gelebt hat. Er hat sich selbst verwirklicht, in sehr hohen Maß, und hat dabei eine sehr große Energie und einen sehr großen Schwung entwickelt, er hat seine Familie und mehrere andere damit angesteckt und aber auch hineingezwungen. Die Kehrseite seiner Selbstverwirklichung war die Autorität und stellenweise auch Härte, die - mehr in seinen jüngeren Jahren - dabei war. Nun, wo er nicht mehr lebt, sehen wir, dass er eine große Fangemeinde hatte, die ihn und mit ihm seine Villa als Idol hatte. Die Villa selbst, allein, nun ohne ihn, hat Fans, die dort Gras mähen und nach dem Rechten sehen. Das ist besonders Fabian. Ich vermute, er hat die letzten Jahre, vielleicht sogar 20 Jahre, viel von seinem Opa mitbekommen, wovon ich gar nichts weiß. Möglicherweise Milena auch, ich war ja von 1978 und mehr noch von 1995 nicht mehr so viel dabei wie in den Jahren davor.
Du wirst es schon verstanden haben, liebe Prim. Aber trotzdem, ich will sagen, dass mein Papa ein guter Vater für mich war (er war ebenso ein guter, geduldiger, aufmerksamer Opa für seine Enkel, Milena, Fabian, Ehssan; beide, Oma und Opa waren so). Er hatte Zeit für mich, Aufmerksamkeit, Geduld, Zuwendung. Er war ein bemerkenswert kluger Mann, mit rascher Auffassungsgabe, aber als ein Kind seiner Zeit waren ihm Grenzen gesetzt, Grenzen der Toleranz, Grenzen der Modernität. Er hat mir alles gegeben und beigebracht, was ich mir wünschen kann. Und er war stolz auf mich. Er war in Manchem ungewöhnlich, manchmal sogar seltsam, unvernünftig, unverbesserlich, in gewissen Momenten nicht ganz erwachsen. Er gab sich zu gewissen Zeiten wir ein Herkules, aber dann war er auch weich und empfindsam. Er konnte kaum die Tränen zurückhalten, wenn er (bei einem Spaziergang an einem Wegkreuz) ein romantisches Heimatlied sang. Er machte Sachen die ich niemals tun würde, hatte Mut und Initiative über mein Maß und meine Skala hinaus. Er glaubte an sein Lotto-Glück und an Wünschelruten. Er war ganz anders als ich (glaube, dass ich bin). Dennoch kann ich ihn hören und sehen, wenn ich selbst rede, lache, schimpfe, oder mit Arbeitshandschuhen Bäume schneide.
Wolfgang Link 24.08.2017 00:12