Ein Artikel über die Identität / Solidarität / Loyalität einer Person zu sich selbst.
Eine für mich alte Frage, lange bekanntes Thema.

Eine Person ändert sich mit der Zeit.
Je länger eine Person lebt, je mehr ändert sich ormalerweise auch diese Person.
Ist der Zeitabstand groß, dann ist die Person fast nicht mehr dieselbe. Nicht nur biologisch, eben wegen des Alterns. Sondern auch psychologisch, charakterlich, die sog. Persönlichkeit verändert sich, Reife nimmt so. Einstellungen, Urteile. Solche Sachen meine ich hier insbesondere. 
Otto Schily beispielsweise, der deutscher Innenminister war, war als junger Mann Verteidiger 
der RAF-Terroristin Gudrun Ensslin. Später, als alter Mann fiel er durch sehr konservative, rechte politische Positionen auf. Er hatte sich offensichtlich sehr verändert. Ein Beispiel.


Wenn eine Person nach z.B. 50 Jahren (fast) nicht mehr dieselbe Person ist, warum soll sie dann mit der ehemaligen Person noch loyal / identisch / solidarisch sein? Im Sinn von: "Was interessiert mich mein Geschwätz von früher?"  Wenn ein alter Mensch nicht mehr loyal zu der Person ist, die sie einmal viel früher war, warum sollen dann andere Leute die beiden Personen, die verschwundene junge Person und die aktuelle alte Person, für dasselbe halten? Verjähren nicht sogar viele Straftaten, die mit lebenslanger Strafe drohen, nach 30 Jahren? Doch wohl, weil die Täterin dann irgendwie nicht mehr existiert, die Person ist ... weg.
Wenn eine Person stirbt, wer stirbt dann? Jedenfalls nicht die Person, die die Person vor 50 Jahren war.
Wenn ein Kind erwachsen wird, dann entwickelt sich aus ihm eine neue Person, und das Kind ist weg. Wo ist die Person, die das Kind war?
Trauern wir nicht um das Kind, das durch die Entwicklung zum Erwachsenen verschwindet?
Wo ist der Unterschied zwischen dem Verlust durch ein Kind, das stirbt und dem Verlust durch das Kind, das dadurch verschwindet, dass aus ihm ein Erwachsener wurde?
Wenn das Kind zu einem Erwachsenen wurde, dann gewinnt man den Erwachsenen als Ersatz für das allmählich verloren gegangene Kindes. Wenn ein Kind stirbt, gibt es keinen Ersatz. Verloren ist es in beiden Fällen.
Wenn der Erwachsene alt wird, dann ist er - schwarz-weiss gesagt - nicht die Person, die er als das Kind war. Kann man diese nunmehr andere, alte Person als Ersatz für ein Kind akzeptieren? Wenn man einen Erwachsenen als Ersatz für ein Kind akzeptiert, kann man dann auch ein Kind als Ersatz für einen Erwachsenen akzeptieren?
Wenn man eine andere, alte Person als Ersatz für ein verschwundenes Kind akzeptieren kann, kann man dann auch ein Kind als Ersatz für eine andere, alter Person akzeptieren?
Wenn man das kann, kann dann mehr oder minder jedes Kind als Ersatz für einen alten Menschen gelten, der stirbt? Wozu dann mehr oder anders um einen verstorbenen alten Menschen trauern als um das Kind, das zu einem Erwachsenen wurde?