Es muss 1981 oder 1982 gewesen sein – ich könnte nachsehen. Ich bin mit einem LKW-Fahrer, der mit meinem Vater bekannt war, mitgefahren, ich auf der Fahrt nach Wales im Vereinigten Königreich von Großbritannien, er auf der Fahrt nach Irland. In Wales stand für mich ein Praktikum an einem Institut bevor. Der Hauptzweck war, mein Englisch zu verbessern. Sieben Wochen allein in Wales haben tatsächlich viel gebracht. Wir fuhren mit der Fähre über den Ärmelkanal, und später dann, nachts, durch London. Am frühen morgen stieg ich in Shrewsbury aus, um den Rest der Strecke nach Aberystwyth mit dem Bus zu fahren. Jetzt aber geht es mir um die nächtliche Fahrt durch London.

Es war etwas gespenstisch. Eigentlich habe ich von der Stadt nichts Wesentliches gesehen, die Straßen waren recht leer, die Straßenbeleuchtung war generell schwach, manche Lampen waren direkt dunkel. Der Eindruck war nicht der einer Hauptstadt, vermutlich fuhren wir nicht durch die beste Gegend. Der Eindruck war ärmlich, schmutzig, dunkel, eher wie ich mir die Dritte Welt vorstellte. Der Fahrtwind wehte Plastikfetzen und andere Müllteile über die Strasse. Der Hausmüll lag in Säcken auf der Strasse, aus den Ecken siffte Ungutes aus den kleinen und größeren Müllbergen. Manche Säcke waren aufgerissen, der Inhalt in der Umgebung verstreut. Das war ein mir fremder, unerwarteter Eindruck, ich hatte England für einen hoch entwickelten Teil Europas gehalten.

Es war vor Ostern, zu der Zeit führten England und Argentinien den Falkland-Krieg. Später, während der Wochen des Praktikums, hat sich der Eindruck von „Ähnlich wie Dritte Welt“ noch mehrmals wiederholt. Wenn die Autos dreckig und alt und rostig waren. Wenn die Fenster zogen und die Heizungen kaum Wärme gab, wenn die Leute patriotisch redeten als ob ihr Land das prächtigste der Welt wäre, während es in meinen Augen mit Ettlingen, Karlsruhe oder Stuttgart nicht im Entferntesten mithalten konnte. 

Die Leute waren fast alle sehr nett zu mir, ohne Frage. Aber als es dann an Ostern bei einer privaten Feier in einer Familie Truthahn gab, gedeckt für ein Festessen, und die Truthahnscheibe war herzlich dünn, eine Scheibe pro Person, und dann wurde das gute Fleisch wieder abgetragen. Wow, das hatte ich zu Hause noch nie erlebt – dass man das Fleisch abträgt (also im Sinne von das muss noch für morgen reichen), nachdem jeder eine Portion bekommen hatte. Den Rest, die Beilagen, ungare Erbsen und kaltes Irgendwas konnte man kaum als Festessen bezeichnen.

Jedenfalls, auch die nächtliche Fahrt durch London bleibt mir in Erinnerung, der Dreck auf der Strasse, die Unordnung. Und nun, seit wer-weiß-wie lange haben wir hier in Göttingen den gelben Sack, und wir haben uns damit Definitiv diesem London-bei-Nacht-vor-35-Jahren angenähert.

Warum soll es gut sein, den Plastikmüll dem Wind und in der Folge dem Straßenverkehr als Spielball und Hindernis zu überlassen? Wo liegt der Fortschritt, wenn Elstern, Krähen, Waschbären und je nach Gegend Möwen die gelben Säcke nächtens aufpicken und den Inhalt verstreuen? Was war eigentlich vorher? Ach ja, vorher gab es Müllcontainer, richtige Mülltonnen aus Stahl oder aus schwerem Plastik, mit Deckeln, die den Vögeln und dem Kleingetier standhielten, die bei bis zu mittelschwerem Wind stehen blieben, und die – ach ja – in eigens gebauten, festen Häuschen untergestellt waren. 

Ja, es gibt immer noch blaue, gelbe, braune, grüne, schwarze Tonne, je nach Region eben, und das ist gut so. Und dann gibt es eben den gelben Sack, fliegende Plastikteile, zerrissenen Beutel, Joghurtbecher und Tetrapack unterwegs nach nirgendwo und überall. Welch ein Fortschritt, welch eine Freude. Welch ein Schritt voran in der städtischen Zivilisation.

Und wieso das Ganze? Vermutlich hat jemand jemandem versprochen, dass dadurch Geld einzusparen wäre, zutreffenderweise oder auch gelogenerweise, und vermutlich wurde jemand bestochen, korrumpiert, und vermutlich wurde jemand reicher als er schon war, und wir haben den gelben Sack. Herzlichen Dank auch, es wäre nicht nötig gewesen.

 

Im Jahr 2024 ist nun hier alles besser geworden. Wir haben neben der grauen und grünen und blauen Tonne nun noch eine gelbe Tonne, die schluckt was sonst im gelben Sack war plus Metall plus 'sonstiges' Plastik (nicht-Verpackungs-Zeug). Das ist eine grandiose Verbesserung. Naja, viele nun schimpfen, weil sie angeblich keinen Platz finden für eine vierte Tonne. Etwas ist halt immer.