Beschwörungsformeln
Worte und Sätze, denen man Wirkung zutraut, kommen mir als Fluch, als Gebet, als Beschwörung in den Sinn. Vielleicht noch als Segensworte.
Ein Alltags-Fluch kann ein momentanes Ventil sein, um Frust abzubauen. Das funktioniert wohl so, dass das Fluchen eigentlich gesellschaftlich tabuisiert ist, und durch den Bruch des Tabus wird man die Wut oder den Frust oder Ärger los. Man bricht sozusagen das Tabu statt dass man gegen den ärgerlichen Gegenstand oder Menschen losschlägt.
Solche Flüche sind zum Beispiel „Herrgott Sakrament“! Oder „Scheiße“! Oder "Verflixte Kacke"!
Etwas ernster ist die Verfluchung. Das kommt ja im Alltag praktisch nicht vor, aber es bedeutet, dass man in eigentlich ernster, voller Absicht einer anderen Person durch den Fluch etwas Schlechtes, Böses anhängen will. Beispiel: "Den soll doch der Teufel holen". Der Anlass, einen solchen Fluch auszusprechen, ist Wut, Zorn, Rachegelüste. Wir glauben heute nicht mehr an Verfluchung, deshalb verfluchen wir kaum noch.
Im zweiten Buch Moses steht: „ .. der die Missetat der Väter heimsucht auf Kinder und Kindeskinder bis ins dritte und vierte Glied“ – ich denke mir, das ist ein Fluch (Verfluchung) aus Rache und Strafe für die Verfehlung der Väter oder Mütter. Was aber soll das für ein Gott sein, der in Aufwallung von Zorn und Rachegelüste drei bis vier Generationen verflucht, so ein Quatsch.
Der Schwur ist auch eine Art Beschwörung. Wenn man schwört, mit der Hand auf der Bibel, oder bei der Seele der eigenen Mutter usw. Vor Gericht heißt es "Eid", hat ja aber wohl denselben Hintergrund.
Eine ganz milde, aber in der Summe vielleicht die wirkmächtigste Beschwörung ist das Wort „Bitte“. Oder als Steigerung „Ich bitte Dich“. Für kleine Dinge im Alltag funktioniert das recht gut und häufig. So ähnlich wirkt auch ein „Jetzt komm halt“.
Stärkere Beschwörungen richten sich nicht an lebende Personen, sondern an übernatürliche Mächte. Kommt im Alltag nicht mehr vor, fast. Aber das Tragen eines Christophorus-Bildchens oder eines christlichen Kreuzchens ist auch eine Art von Beschwörung.
Beten ist Beschwörung. „Lieber Gott, mach mich fromm, dass ich in den Himmel komm“, das ist eine Beschwörung, fehlt nur noch „bitte, bitte“. Und das Amen ist ein starkes Wort, um die Beschwörung als solche erkennbar zu machen und bei gemeinschaftlicher Beschwörung zu signalisieren, dass man als Amen-Mitsprecher das Gesagte mitträgt.
Grußformeln können Beschwörungen sein. „A sallamu alaikom“, „Schalom alechem“, „Pax tecum“, das sind Grüße und Formeln, die den Frieden beschwören. Kyrie Eleison, Christe Eleison sind ebenso Beschwörungsformeln (Herr erbarme Dich; Christus, erbarme Dich).
Aus dem Oratorium Elias kenne ich noch einige starke Beschwörungen - durch die Musik werden sie besonders heftig.
Der Prophet Elias verflucht das Volk Israel, zur Strafe wegen Unglaubens. „So wahr der Herr, der Gott Israels, lebet, vor dem ich stehe: Es soll diese Jahre weder Tau noch Regen kommen, ich sage es denn.“ Es folgt dann in der Tat Dürre und Hungersnot.
Den Sohn einer Witwe, die ihn beherbergt, lässt der Prophet Elias wieder vom Tod zum Leben kommen, die Beschwörung ist: „Herr, mein Gott, lass die Seele dieses Kindes wieder zu ihm kommen.“ Eigentlich eine Bitte, sogar ohne Amen; jedenfalls das Kind kommt wieder zu sich. Und die Witwe kommentiert das Wunder mit "Nun erkenne ich, dass Du ein Mann Gottes bist."
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Um Feuer vom Himmel auf das Opfertier herunterzubeschwören singt der Prophet Elias zu düster-drängender Musik: „Der Du Deine Diener machst zu Geistern, und Deine Engel zu Feuersflammen, sende sie herab!“ Es gelingt, das Opfertier brennt, und Elias weist so nach, dass sein Gott mächtiger ist als Baal, der seinen Betern nämlich kein Feuer vom Himmel schickt.
Um die 'Folge' seines eigenen Fluchs, nämlich die Dürre, zu beenden, ruft (also singt) Elias: „Wenn der Himmel verschlossen ist, weil sie an Dir gesündiget haben, und sie werden beten und Deinen Namen bekennen, und sich von ihren Sünden bekehren, so wollest Du ihnen gnädig sein, Hilf Deinem Knecht, oh Du, mein Gott“.
Aber es hilft nichts, es regnet nicht.
Dann kommt die Steigerung der Beschwörung (die Musik ist entsprechend düsterer, ultraviolett): „Wende Dich zum Gebet deines Knechts, zu seinem Flehn, Herr! Herr, Du mein Gott!“.
Und dann die paukendröhnende Anrufung – man spürt, wie der Prophet seinen Gott zwingen will, aber – Überraschung, nach der ultimativen, imperativ zwingenden Forderung kommt, als Höhepunkt, die blanke, schlichte Bitte. Und so geht es: „Wenn ich rufe zu dir, Herr, mein Gott, so schweige mir nicht! Gedenke, Herr, an deine Barmherzigkeit.“ Barmherzigkeit, tja.
Und dann, natürlich, dann regnet es. Das Wunder geschieht.
Eine andere Art der Beschwörung ist der Segen. Aus dem Elias-Oratorium kenne ich diesen Segen: „Denn er hat seinen Engeln befohlen über Dir, dass sie Dich behüten auf allen deinen Wegen, dass sie Dich auf den Händen tragen und Du Deinen Fuß nicht an einen Stein stoßest“.
Ein Beispiel eines sehr alten (angeblich ältesten) christlichen Segens: „Der Herr segne und behüte Dich, der Herr lasse sein Angesicht leuchten über Dir und sei Dir gnädig, der Herr erhebe sein Angesicht über Dich und gebe Dir Frieden.“
Worte, denen man Wirkung zutraut. Alsdann, Bismillah, Pax vobiscum.